Das Grußwort von Hermann Maier, Leiter des Amtes für Schule und Bildung der Stadt Freiburg, zur Veranstaltung »Länger gemeinsam Lernen in Freiburg« am 16. November 2016 stellt ein beeindruckendes Plädoyer für ein schülergerechtes und demokratisches Schulwesen dar. Herr Maier hat uns sein Redemanuskript freundlicherweise zur Veröffentlichung überlassen. 


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie herzlich zur heutigen Veranstaltung des Freiburger Bündnisses: »Eine Schule für alle« zum Thema »Länger gemeinsam lernen in Freiburg« willkommen heißen.

Heute Abend werden sich Schulen vorstellen, in denen in Freiburg Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen. Was verbirgt sich dahinter? Warum ist das Thema heute gerade so wichtig?

Wir zählen zu einem der wenigen Länder, das nach vier gemeinsamen Schulbesuchsjahren in der Grundschule eine Zäsur legt und aufbauend auf die Grundschule ein unterschiedlich ausgestaltetes weiterführendes Schulsystem vorhält.

Das ursprünglich dreigliedrig in Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufgeteilte Schulsystem ging von der Annahme aus, dass die Grundtalente aller Schülerinnen und Schüler sich dieser Systematik unterordnen ließen und dass über diese Form der Homogenisierung der Schularten die Leistungsfähigkeit des Schulsystems definiert würde.
Nicht erst die PISA-Studien haben uns anderes aufgezeigt! Schon länger steht in Deutschland die Frage der Gerechtigkeit und Angemessenheit des Schulsystems angesichts eines sich ändernden Gesellschaftsgefüges im Raum.

Sielert formulierte 2007 die Anforderungen an Lehren und Lernen angesichts zunehmender Bewusstheit über die Rechte und Chancen von Unterschiedlichkeit in jederlei Hinsicht in der Gesellschaft, sei es kultureller Art, der geschlechtlichen Orientierung, der individuellen Lebensentwürfe, religiöser Zugehörigkeit, der Gesundheit oder dem Vorliegen einer Beeinträchtigung welcher Art auch immer, folgendermaßen:

»Ohne Angst verschieden sein können und die Kraft der Vielfalt nutzen«

Dieses Postulat einer pädagogischen Arbeit und dieser Auftrag an die Schulen spiegelt die Realität und die Bedürfnisse unserer städtischen Gesellschaft wider. Wir sind viele, werden täglich immer mehr und die Vielfalt und Unterschiedlichkeit nehmen zu. Und wir sagen dazu: das ist eine Bereicherung für uns alle, wenn wir uns den Herausforderungen optimistisch und konstruktiv stellen.

Das Thema »Länger gemeinsam Lernen« hat daher nicht nur eine bildungspolitische, sondern insbesondere auch eine sozial- und gesellschaftspolitische Dimension.
Der Grundauftrag von schulischer Bildung zielt darauf ab jedem Menschen unabhängig von seinen individuellen Gegebenheiten zu bestmöglicher Entfaltung seiner Fähigkeiten und Potenziale zu verhelfen und ihn dadurch zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und an der Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens aktiv teilzuhaben.

Dies gelingt heute nur dann, wenn fachliches Lernen verbunden ist mit den Auseinandersetzungen mit der bestehenden gesellschaftlichen Wirklichkeit, die unter anderem darin besteht, dass Menschen unterschiedlich sind, denken und handeln. Gerade vor dem Hintergrund pluraler und globaler Entwicklungen in der Gesellschaft ist es erforderlich, das Gemeinsame und das Unterschiedliche immer wieder zu nutzen, es in gemeinsamer Auseinandersetzung zu betrachten und zu reflektieren.

Wenn nicht hier, wo sonst geschieht Werteerziehung? Demokratisches Denken und Handeln sind unerlässliche Voraussetzungen dafür, den schulischen Alltag miteinander so zu gestalten, dass jede Person darin einen zufriedenstellenden Platz nicht nur findet, sondern aktiv ausgestalten kann. Hierdurch entwickeln sich auch in einem schulischen Sinne betrachtet überfachliche Kompetenzen bei allen Beteiligten.

Die Ergebnisse aktueller Bildungsstudien lassen die Debatte wieder aufflammen, in welcher Weise die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern verbessert werden könne. Die Tendenz zu Vereinfachungen und zu Verengungen der Betrachtungsweise – sowohl dessen, was unter Leistungsfähigkeit verstanden wird, wie auch wie sie erhöht werden kann, ist unverkennbar.

Gleichzeitig ist es aber legitim und unverzichtbar, die Leistungsfähigkeit einer Schule auch danach zu betrachten, wie es ihr gelingt der Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden und sie ergänzend zu den überfachlichen Kompetenzen auch zu fachlich hohen Leistungen, zu gut ausgeprägtem Wissen und Können zu führen.

Dass dies pädagogisch eine große Aufgabe ist, ist unbestritten, und die anwesenden Lehrkräfte wissen dies nur allzugut. Dass die Aufgabe gelingen kann, ebenso. Hierfür sind die heute anwesenden Schulen die besten Beispiele.

Ich danke daher den Veranstaltern für die Initiative für diesen Abend, den Schulen für ihr Kommen und dass sie sich selbstbewusst zeigen, und Ihnen, sehr verehrten Anwesenden, für Ihr Interesse. Ich bin mir sicher, wir werden einen anregenden Austausch erleben.